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Können Strafzölle China stoppen?

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15. Juli 2024 | 5 Minuten

Obwohl Zölle und Handelsbarrieren seit der Globalisierung der Wirtschaft ab den Neunzigerjahren nicht gerne gesehen waren, scheint Protektionismus nun wieder salonfähig geworden zu sein. Nachdem die Vereinigten Staaten im Mai 2024 Einfuhrzölle auf chinesische Importe in Sektoren wie Elektromobilität, Halbleiter und Batterien teilweise drastisch erhöht haben, zieht jetzt auch die EU nach. Sowohl die EU als auch die USA wollen damit in erster Linie die unter Druck geratene inländische produzierende Industrie vor einer regelrechten Schwemme chinesischer Exporte schützen. Doch interessanterweise sprechen sich nun deutsche Autohersteller sogar gegen Zollerhöhungen aus.

Die chinesische Industrie auf der Überholspur

«Made in China 2025» – so heisst der vor beinahe 10 Jahren lancierte strategische Plan der Volksrepublik China mit dem Ziel, die chinesische Industrie aufzuwerten und zur führenden Hightech-Industrienation aufzusteigen. Dabei spielen unter anderem Sektoren wie die Elektromobilität, Solarenergie und Robotik eine Schlüsselrolle. Konkret lässt sich am Beispiel der Elektroautobranche beobachten, dass sich China dem Vorwurf ausgesetzt sieht, es habe seinen Herstellern durch Subventionen unter die Arme gegriffen und diesen ermöglicht, erhebliche Überkapazitäten aufzubauen. Diese wiederum befähigten laut den Vorwürfen die Hersteller, eine weitaus wettbewerbsfähigere Preisstrategie zu verfolgen als ihre westliche Konkurrenz.

Solche Subventionen sind jedoch nur schwer nachzuweisen und zuzuordnen. Experten zufolge handelt es sich dabei beispielsweise um Käuferrabatte, Umsatzsteuererleichterungen und direkte oder indirekte staatliche Finanzierungen von Industrieinfrastruktur und Forschung & Entwicklung. Demzufolge wird vermutet, dass zwischen 2009 und 2022 über 200 Milliarden Yuan (umgerechnet rund 29 Milliarden US-Dollar) für solche Unterstützungsmassnahmen zur Verfügung gestellt wurden. Interessanterweise kamen solche Unterstützungen anscheinend auch westlichen Autobauern zugute, die in China tätig waren und allein oder mit chinesischen Partnern in Joint-Ventures Elektrofahrzeuge produzierten. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft hat in einer 2024 erschienenen Studie berechnet, dass mehr als 99 Prozent der chinesischen Unternehmen, deren Aktien öffentlich gehandelt werden, im Jahr 2022 staatliche Subventionen erhalten haben.

Nachhaltige Energie als Wirtschaftsstrategie

Auch im Bereich der Batterien für Elektrofahrzeuge, einem essenziellen Teil der Zulieferungskette für Fahrzeugbauer, an welcher selbst westliche Unternehmen teilhaben, ist China auf der Pole Position. Laut einem Bericht der Denkfabrik Atlantic Council in Washington D.C. stiegen Chinas Ausfuhren von Lithium-Ionen-Batterien im Jahr 2023 sprunghaft auf 65 Milliarden US-Dollar an, gegenüber 13 Milliarden US-Dollar im Jahr 2019. Nahezu zwei Drittel dieser Exporte gingen nach Europa und Nordamerika. Hinzu kommt, dass China zwar keinen Zugang zu allen zur Herstellung benötigten Rohstoffen hat, jedoch signifikante Kapazitäten bei deren Raffination aufgebaut hat.

Noch beeindruckender ist die Dominanz chinesischer Produzenten bei Solarstromanlagen. Um die Abhängigkeit von der traditionell westlich dominierten Ölindustrie zu minimieren, hat China bereits seit einigen Jahren die heimische Entwicklung und Produktion von Solarstromanlagen priorisiert. Dadurch entstanden sehr früh Wissens- und Kostenvorteile gegenüber der westlichen Konkurrenz. Mittlerweile stammen über 80 Prozent der weltweit installierten Solarstromanlagen aus dem Reich der Mitte.

Staaten, die zu den Hauptproduzenten von Photovoltaikmodulen weltweit zählen

Welche Massnahmen ergreifen Chinas Handelspartner im Westen?

Die Vereinigten Staaten werfen China eine unlautere Handelspraxis vor. Präsident Biden hat im Mai dieses Jahres angekündigt, Zölle auf diverse chinesische Exportgüter zu erhöhen. Darunter fällt unter anderem eine massive Erhöhung der Einfuhrzölle für elektrische Fahrzeuge aus China von vorher 25 Prozent auf neu 100 Prozent, eine Verdoppelung der Zölle für Solarzellenimporte von 25 auf 50 Prozent und für Halbleiter von ebenfalls 25 auf 50 Prozent. Dabei steht laut dem Weissen Haus primär der Schutz amerikanischer Industrie und somit von Arbeitsplätzen im Fokus, aber auch eine sicherheitspolitische Komponente wird ins Feld geführt. US-amerikanische Politiker befürchten, dass chinesische Fahrzeuge, die sich in der Nähe von kritischen Sicherheitseinrichtungen befinden, in der Lage sein könnten, sensible Informationen zu sammeln und nach China weiterzuleiten.

Auf der anderen Seite des Atlantiks ist die EU in die gleiche Bahn wie die USA eingespurt, wenn auch in einem etwas tieferen Gang. Bereits im November 2023 starteten erste Antisubventionsuntersuchungen der EU für diverse chinesische Exportsektoren. Diese umfassten neben Bereichen wie Elektrofahrräder, Dekorpapier und Mehrschichtholzböden auch die umsatzstarken Elektrofahrzeuge. Im Juni 2024 fiel dann auch auf dem alten Kontinent der Hammer. Die EU-Kommission entschied sich dem Tenor der Vereinigten Staaten zu folgen, und mit Strafzöllen gegen die Einfuhr chinesischer E-Autos vorzugehen. Entschieden wurde, die Importzölle unternehmensabhängig zu gestalten, je nach Ausmass des entstandenen Schadens, der während der Untersuchung evaluiert wurde. So würden beispielsweise bei Inkrafttreten der Massnahmen Fahrzeuge der Marke BYD mit 17,4 Prozent besteuert, wohingegen der Hersteller SAIC mit einem Zuschlag von 38,1 Prozent versehen würde, da dieser nicht an der Antisubventionsuntersuchung teilgenommen hat.

Entwicklung der aus China nach Deutschland importierten Personenkraftwagen mit Elektromotor von 2017 bis 2024

Reaktionen der Autobauer

Man könnte vermuten, dass die von der EU ergriffenen Massnahmen von der europäischen Autoindustrie begrüsst und unterstützt würden. Interessanterweise herrschen jedoch auseinandergehende Auffassungen darüber, ob diese Schutzzölle mehr ein Schuss ins eigene Bein als ein willkommener Rettungsring sind. Während beispielsweise französische Autobauer, die über keine grosse operative Präsenz im Reich der Mitte verfügen, die Zollerhöhungen tendenziell willkommen heissen, spricht sich die deutsche Autoindustrie eher dagegen aus. Letztere haben signifikante Anteile der Produktion von Elektrofahrzeugen nach China verlegt, und exportieren von dort in westliche Märkte. Auch deren Exporte wären von den neuen Strafzöllen betroffen. Vermutet wird jedoch, dass hier Ausnahmeregelungen getroffen werden könnten, um europäischen Unternehmungen entgegenzukommen. Es entsteht ausserdem das Dilemma, dass die von der EU gesetzten Klimaziele und das geplante Verbrenner-Aus bis 2035 ohne eine Kooperation mit Chinas E-Autoindustrie weitaus schwieriger zu erreichen wären.

Der US-amerikanische Branchenpionier Tesla produziert in der als «Gigafactory Shanghai» bekannten Fabrik einen Grossteil seiner populären Elektrofahrzeuge Model 3 und Model Y. Da sich auch Tesla mit europäischen Importzöllen konfrontiert sieht, hat das Elon Musks Unternehmen als Reaktion auf den Entscheid der EU-Kommission angekündigt, dass eine Preiserhöhung der Fahrzeuge im europäischen Markt erwägt wird. Ob Tesla als amerikanisches Unternehmen ebenfalls von einer Ausnahmeregelung der EU profitieren könnte, steht offen.

Wie könnte China antworten?

Es ist unklar, ob Zollerhöhungen Chinas Unternehmen dazu bringen könnten, vom Kurs abzuweichen. Die Gewinnmarge der chinesischen Autohersteller ist so hoch, dass es für viele Produzenten selbst mit einem Zollaufschlag möglich wäre, den Endpreis nicht zu erhöhen und nach wie vor kostendeckend zu verkaufen.

Ausserdem steht die Frage im Raum, ob chinesische Fahrzeugbauer bereits im Voraus mit einer solchen Reaktion der EU und den USA gerechnet haben. So verkündete der nach Exportvolumen grösste chinesische Fahrzeugbauer Chery im April 2024, dass gemeinsam mit einem europäischen Partner eine Produktionsstätte in Spanien noch im selben Jahr eröffnet werden soll. Auch BYD kündigte bereits im Vorjahr Pläne zum Bau einer Fabrik in Ungarn an.

Trotzdem verfügt China über eine Anzahl von Möglichkeiten, um auf die Zollstrafen zu antworten. Obwohl der chinesische Automarkt sich in einem gesättigten Zustand befindet und die inländische Nachfrage problemlos von den chinesischen Produzenten gedeckt werden kann, ist der chinesische Markt für westliche Hersteller nach wie vor unverzichtbar wichtig. Teslas Model Y ist das zweitmeistverkaufte Modell in China (Stand 2024) und auch andere westliche Hersteller besitzen in Kooperationen mit lokalen chinesischen Herstellern einen signifikanten Marktanteil. Beispielsweise befindet sich die chinesische Automarke FAW-VW mit deutscher Beteiligung von Volkswagen und Audi nach BYD auf dem zweiten Rang der verkaufsstärksten Automarken im Inland. Eine Erschwerung des Zugangs zu diesem Markt wäre von den europäischen Herstellern wohl nicht gerne gesehen.

Ein unverzichtbarer Markt

Die chinesische Handelskammer in Brüssel liess verlauten, dass China als Reaktion auf die europäischen Strafzölle den Importzoll für westliche Fahrzeuge mit grossen Verbrennermotoren (über 2,5 Liter Hubraum) von 15 auf 25 Prozent zu erhöhen erwägt. Diese Fahrzeugkategorie, unter welche viele Luxuslimousinen fallen, wird in China nach wie vor von westlichen Herstellern dominiert. Auch kündigte China an, als Antwort eine Anti-Dumping-Untersuchung gegen bestimmte aus den USA und Europa importierte Chemikalien und Lebensmittel gestartet zu haben. Beim Begriff Dumping handelt es sich um die Praxis, Produkte weit unter dem Herstellungspreis zu veräussern und somit Marktanteile zu erobern, was einen Verstoss gegen internationale Handelsregeln darstellt. Bereits im Januar 2024 leitete China beispielsweise eine Anti-Dumping Untersuchung für europäischen Branntwein ein. Betroffen wären bei Sanktionen dabei in erster Linie französische Unternehmen.

Auflistung der wichtigsten Exportgüter aus Deutschland nach China im Jahr 2022

Wie könnte sich die Situation entwickeln?

Die Richtung, die von beiden Seiten in den letzten Monaten eingeschlagen wurde, scheint klar. Man will die einheimische Wirtschaft schützen und unterstützen, wenn nötig mit protektionistischen Massnahmen. Ob und wie sich dieser Kurs schlussendlich auf die Volkswirtschaften Europas auswirken wird, könnte einerseits von den anstehenden Präsidentschaftswahlen in den Vereinigten Staaten, andererseits von der Reaktion Chinas und dem Verhalten der westlichen Industrie, primär den Fahrzeugherstellern abhängen. Klar ist, dass Importzölle den Handel verkomplizieren und betroffene Unternehmen erwägen könnten, sich auf neue Märkte zu orientieren.

Chinesische Unternehmen könnten mittelfristig betrachtet auch vermehrt in die Fussstapfen ihrer westlichen Konkurrenz treten und Produktionskapazitäten in der Nähe von Absatzmärkten aufbauen, damit am wirtschaftlichen Geschehen teilhaben und dem Argument der Marktüberflutung aus dem Ausland den Wind aus den Segeln nehmen. Auch Kooperationen mit westlichen Fahrzeugherstellern könnten eine Lösung sein, die auf Unterstützung stossen könnte.

Für Anleger, die am aktuellen Geschehen teilnehmen möchten und der Auffassung sind, dass die beschlossenen Massnahmen eine Auswirkung auf die Kurse betroffener Unternehmen haben könnten, könnten folgende Produkte interessante Möglichkeiten bieten:

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