In letzter Zeit hat der Euro einen deutlichen Anstieg verzeichnet und innerhalb des letzten Monats um fünf Prozent gegenüber dem US-Dollar zugelegt. Besonders interessant an dieser Bewegung ist der gleichzeitige Anstieg des Zinsunterschieds zwischen den USA und der EZB. Normalerweise führen höhere US-Zinsen zu Kapitalflüssen in auf Dollar lautende Anlagen, was den Dollar stärkt. Dieses Mal scheint diese alte Beziehung jedoch nicht mehr zu gelten, was auf eine Veränderung der Anlegerstimmung hinweist.
Eine historische Beziehung ist gebrochen
Historisch gesehen bewegten sich deutsche Staatsanleihen und der Euro in entgegengesetzte Richtungen. Ein starker Euro wird üblicherweise als Ausdruck wirtschaftlichen Optimismus gewertet, der die Nachfrage nach sicheren Anlagen wie deutschen Staatsanleihen verringert. Derzeit steigen jedoch sowohl der Euro als auch deutsche Anleihen – ein ungewöhnliches Phänomen, das als Kapitalflucht in den Euroraum interpretiert werden kann.
Da die traditionelle Beziehung zwischen Zinsen und deutschen Anleihen nicht mehr gilt, deutet dies auf eine wachsende Unsicherheit der Investoren gegenüber der amerikanischen Politik hin. Seit 2022 ist die Volatilität bei US-Staatsanleihen hoch geblieben und hat aktuell den höchsten Stand seit über einem Jahr erreicht. Folglich stellen Anleger zunehmend infrage, ob US-Staatsanleihen weiterhin als das ultimative sichere Anlageinstrument der Welt gelten können.
Stabilität statt Zinsdifferenz
Laut einigen Zinsexperten vernachlässigen globale Investoren zunehmend ihr US-Engagement zugunsten des Euroraums, insbesondere Deutschlands, und suchen stattdessen nach Stabilität, Zinssicherheit und einem politisch berechenbareren Umfeld. Obwohl deutsche Anleihen in der Vergangenheit niedrige oder sogar negative Zinsen aufwiesen, werden sie nun zu einer Alternative, da die Regierung versprochen hat, die Kreditaufnahme zur Finanzierung neuer Investitionen zu erhöhen.
Gleichzeitig scheint die Zinsentwicklung eine geringere Rolle am Devisenmarkt zu spielen als früher. Ein Zinsunterschied von zwei Prozent zugunsten der USA würde normalerweise den US-Dollar stärken – heute erleben wir jedoch das Gegenteil. Entscheidend ist hierbei, dass der Markt heutzutage weniger auf Zinsdifferenzen achtet als auf politische Stabilität und Berechenbarkeit. Trotz dieses Wandels ist es unwahrscheinlich, dass der US-Dollar bald seine Rolle als führende Währung verliert. Der amerikanische Anleihemarkt ist nach wie vor deutlich grösser und liquider als der europäische und dominiert den Welthandel. Dennoch markiert die Entwicklung einen wichtigen Wandel, da institutionelle Investoren zunehmend in auf Euro lautende Anlagen diversifizieren.
Der Kurs bleibt ungewiss
Zukünftig liegt der Kurs massgeblich in den Händen der amerikanischen Politik, die durch ihr Handeln das wachsende Misstrauen an den Märkten adressieren muss. Sollte die Volatilität auf dem amerikanischen Anleihemarkt anhalten und das Vertrauen in die US-Wirtschaft weiter schwinden, könnte der Euro weiter zulegen. Letztlich geben die unerwartete Stärke des Euro und die Schwäche des Dollars Aufschluss über einen sich vollziehenden Wandel der Kapitalströme, eine Entwicklung, die den Devisenmarkt für viele Jahre verändern könnte.