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Experteninterview über Japan mit dem Leiter des Vontobel Makro Research, Sven Schubert

Vontobel Markets
21. Nov. 2023 | 4 Minuten

Anleger und Investoren haben Japan, das «Land der aufgehenden Sonne», lange Zeit gemieden. Doch nun scheinen sich die veränderten Rahmenbedingungen positiv auf den japanischen Aktienmarkt auszuwirken. Warum Japan perspektivisch in globalen Portfolios wieder eine wichtigere Rolle spielen könnten, lesen Sie im Experteninterview.

1. Viele Anleger verbinden Japan häufig mit der «Lost Decade – dem verlorenen Jahrzehnt». Was hat es damit genau auf sich?

Dies hat mit den Folgewirkungen der Finanzmarktkrise in Japan Ende der 1980er und Anfang der 1990er zu tun. Allerdings lähmte die Krise nicht nur die Wirtschaft für ein Jahrzehnt, sondern sogar eine ganze Generation von Unternehmern, wie es in einem lesenswerten Buch "The Holy Grail of Macroeconomics – Lessons from Japan's Great Recession" beschrieben wird. Ausgangspunkt war eine überhitzende Volkswirtschaft, die durch eine restriktive Geldpolitik zu Fall gebracht wurde. Fatal für Japan ist jedoch die Tatsache, dass der Immobilienmarkt kollabierte und viele Unternehmen in diese investiert waren. Folglich gerieten die Bilanzen vieler Unternehmen in Schieflage. Die Anlagenseite ist stark geschrumpft, die Verbindlichkeiten jedoch nicht. In der Folge verloren japanische Unternehmer jeglichen Appetit für Neuinvestitionen, da sämtliche Unternehmensgewinne in die Schuldentilgung gesteckt wurden. Man wollte die Bilanzen so schnell wie möglich wieder reparieren. Doch selbst damit war es noch nicht getan. Selbst nachdem die Bilanzen wieder im Gleichgewicht waren, kehrte der vor der Krise herrschende unternehmerische Risikoappetit der betroffenen Unternehmer nicht zurück. Zu sehr waren diese gebrandmarkt durch die Erfahrungen einer "beinahe" Unternehmenspleite. Somit war ein Generationswechsel in den Führungsetagen der japanischen Unternehmen notwendig, um die wirtschaftliche Lähmung abzuschütteln und das für das Wachstum und Innovation notwendige Investitionsverhalten wieder anzukurbeln.

2. Was sind die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Besonderheiten Japans im Vergleich zu anderen asiatischen Ländern?

Japan ist wirtschaftlich eine der fortgeschrittensten Nationen Asiens und der Welt, stark industrialisiert und technologisch innovativ, insbesondere in Bereichen wie Robotik und Automobilindustrie. Als die drittgrösste Volkswirtschaft der Welt, hinter den USA und China, spielt Japan eine zentrale Rolle im globalen Handel, mit einer ausgesprochenen Exportorientierung, die sich auf hochwertige und technologisch fortschrittliche Produkte konzentriert. Die Arbeitsmoral ist hoch, was in Kombination mit einem starken Fokus auf Forschung und Entwicklung, die Qualität und Zuverlässigkeit japanischer Produkte und Dienstleistungen fördert. Gesellschaftlich ist Japan durch eine schnelle Alterung der Bevölkerung und eine tief verwurzelte Wertschätzung von Kultur und Tradition geprägt. Bildung hat einen hohen Stellenwert, und das Bildungssystem ist stark wettbewerbsorientiert. Die Gesellschaft ist relativ homogen mit festen sozialen Strukturen und Weltanschauungen, obwohl sich die Geschlechterrollen langsam wandeln und modernisieren, bleibt die Partizipation von Frauen in Führungspositionen vergleichsweise niedrig.

3. Werfen wir einen Blick auf die Demographie – das Thema Überalterung und Pensionierung ist nicht nur bei uns aktuell. Wie sieht es in Japan aus, dem Land mit dem weltweit höchsten Bevölkerungsanteil an älteren Menschen?

Japan steht tatsächlich vor einer beispiellosen demografischen Herausforderung, da das Land die älteste Bevölkerung weltweit hat. Die Überalterung hat weitreichende Auswirkungen auf verschiedene Aspekte der Gesellschaft und der Wirtschaft, einschliesslich der Arbeitskräfte, Sozialsysteme, Gesundheitsversorgung und sogar der Industrie. Das Verhältnis der arbeitenden Bevölkerung zu den Pensionierten ist beispielsweise seit 1950 von 10:1 kürzlich auf 2:1 gefallen. Bei einem Umlagesystem, bei dem die arbeitende Bevölkerung die Renten finanziert, führt das natürlich zu Problemen. Daher sind staatliche Querfinanzierungen notwendig. Mittlerweile werden über ein Drittel der staatlichen Einnahmen für die Querfinanzierung benötigt. Um das Problem in den Griff zu bekommen, wurde das Rentenalter kürzlich auf 65 erhöht. Gleichzeitig fördert die japanische Regierung Initiativen, um die Beteiligung älterer Menschen am Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft zu erhöhen und somit ihre Erfahrungen und Fähigkeiten zu nutzen. Jeder Arbeitnehmer kann jetzt selbst wählen, ob er bis zum 70. Lebensjahr weiterarbeiten möchte. Einzelne Unternehmen bieten diese Option sogar bis zum 80. Lebensjahr an. Dies beinhaltet auch die Anpassung der Arbeitsbedingungen, -umgebungen, des Steuerrechts und des Gesundheitssystems, um sie für ältere Arbeitnehmer zugänglicher und komfortabler zu machen. So wird die sportliche Aktivität der Älteren gefördert. Geförderte Sportstunden unter dem Kirschbaum sind keine Seltenheit, mit dem Effekt dass Japans Alte fitter als irgendwo sonst in der Welt. Im Ranking bei der gesunden Lebenserwartung, das heisst ohne schwere Erkrankung und Pflegebedürftigkeit steht Japan gemäss Weltgesundheitsorganisation auf Platz eins.

4. Der japanische Leitindex, NIKKEI 225®, hat dieses Jahr eine beeindruckende Performance hingelegt (+23.50% YTD am 02.10.23). Was ist der Grund für diese Rally und kann sie anhalten?

Zum einen das generell positive Marktumfeld, das durch die im Jahresverlauf gefallenen Rezessionsrisiken getrieben wurde. Viele Marktbeobachter wurden von den ausgesprochen robusten Konjunkturdaten der Industrie- und Schwellenländer (mit Ausnahme Chinas) überrascht. Die robusten Konjunkturdaten wurden in diesem Jahr durch überraschend gute Unternehmensgewinne bestätigt. Hinzu kommt jedoch im Falle Japans das Festhalten der japanischen Zentralbank an der extrem lockeren Geldpolitik. Zwar hat auch die BoJ die Geldpolitik etwas normalisiert, jedoch nahezu unmerklich im Vergleich zur geldpolitischen Straffung anderer Zentralbanken wie der Fed. Die lockere Geldpolitik hat zu einer massiven Abwertung des Yen um 14% geführt. In derselben Währung hat sich der NIKKEI 225® nach Bereinigung der Abwertung ähnlich wie der Industrieländer-Benchmark-Index entwickelt.

5. Wie sind die jüngsten geldpolitischen Entscheidungen der Bank of Japan einzuordnen und bedeutet das für die Anleihe- und Aktienmärkte?

Die BoJ hat in den letzten Jahren eine sehr lockere Geldpolitik verfolgt, einschliesslich niedriger bis negativer Zinssätze und umfangreicher Anleihekäufe, um die deflationären Tendenzen in den Griff zu bekommen und das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Das lange Festhalten der BoJ an der ultralockeren Geldpolitik – während andere Zentralbanken die geldpolitischen Zügel straffen – muss auch im historischen Kontext gesehen werden. Es hat lange gedauert und der Zentralbank grosse Mühen bereitet, der Deflationsspirale und der verlorenen Dekade zu entkommen. Allerdings hat die geldpolitische Normalisierung – wenn auch in sehr kleinen Schritten – bereits begonnen. Angesichts der starken Yen-Schwäche könnte ein weiterer Schritt in Richtung Normalisierung Ende dieses Jahres erfolgen, wobei die Spanne, in der die Zentralbank die Renditen stabilisiert, leicht erhöht werden könnte. Der grosse Wurf dürfte jedoch noch nicht kommen. Realistischerweise wird eine vollständige Abkehr von der Zinskurvenkontrolle im Sommer nächsten Jahres erwartet. Zu dieser Zeit plant die BoJ ein gross angelegtes Review-Meeting der Geldpolitik und deren Auswirkungen auf die Wirtschaft, das in Zusammenarbeit mit Vertretern der Wissenschaft stattfinden wird.

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