Die deutschen Gewinner der neuen Klimaziele
Die Welt sagt dem Klimawandel den Kampf an. Mit milliardenschweren Investitionsprogrammen wollen Europa und die USA den Weg zur CO2-Neutralität beschreiten. Für einige deutsche Unternehmen könnte sich daraus ein enormes Ertragspotenzial ergeben.
Die Welt macht Tempo bei der ökologischen und digitalen Transformation der Industrie
Im April dieses Jahres hat sich die Europäische Union auf verschärfte Klimaziele geeinigt: Statt um 40% soll der CO2-Ausstoss bis 2030 um mindestens 55% gesenkt werden. Bis 2050 will die EU klimaneutral sein, um die globale Erderwärmung auf 1.5 Grad Celsius zu begrenzen. Um dieses Ziel zu erreichen sind in den nächsten 30 Jahren ein umfassender Umbau der Wirtschaft hin zu erneuerbaren Energien und Produktionsmethoden ohne Abgase notwendig. Die Klima-neutralität hat sich auch die neue Regierung in Washington auf die Fahne geschrieben. Präsident Biden machte nicht nur den Austritt seines Vorgängers aus dem Pariser Klima-abkommen rückgängig. Um das Erreichen der CO2-Neutralität zu gewährleisten, sind staatliche Investitionen in Höhe von fast zwei Billionen US-Dollar über die nächsten zehn Jahre geplant.
Deutschland zündet den Turbo
Nicht nur die Weltpolitik beschäftigt sich mit dem Klimawandel. Auch für die nationalen Entscheidungsträger in Deutschland ist das Thema derzeit hochbrisant. Schliesslich hatte das Bundesverfassungsgericht im April die bisherigen Klimaschutzmassnahmen der Bundesrepublik als unzureichend gerügt und die Regierung dazu verpflichtet bis Ende 2022 Massnahmen zum Erreichen der Klimaziele darzulegen. Als Reaktion auf den Entscheid aus Karlsruhe will Deutschland Regierungskreisen zufolge seine Klimaziele bis 2030 sogar auf einen 65% geringeren CO2-Ausstoss ausrichten. Nicht nur Grünen-Kanzlerkandidatin Baerbock sieht das Urteil als «historische Entscheidung» und «die nächsten Jahre als entscheidend für konsequentes Handeln». Auch CDUKandidat Armin Laschet fordert, dass «ambitionierter Klimaschutz und Nachhaltigkeit überall oben auf der Agenda stehen müssen».
Nur schöne Worte für den Wahlkampf?
Zweifellos befindet sich Deutschland im Wahlkampfjahr. Dass «die Grünen» in den Wahl-umfragen derzeit Kopf an Kopf mit der Union liegen, dürfte so manchem CDU-Politiker die
Schweissperlen auf die Stirn treiben. Doch selbst wenn es sich bei vielen «Grünen»-Befürwortern um Protestwähler handeln sollte, ist das wachsende Umweltbewusstsein in der
Bevölkerung nicht von der Hand zu weisen. So ergab eine Umfrage des Umweltbundesamtes, dass für zwei Drittel der Bevölkerung der Umwelt- und Klimaschutz eine grundlegende
Bedingung darstellt, um Zukunftsaufgaben bewältigen zu können. Die Gestaltung und Umsetzung der «Fahrpläne» zur Dekarbonisierung dürfte somit - unabhängig vom Ausgang
der Wahlen – tatsächlich «überall oben auf der Agenda stehen».
Stimmen aus der Wirtschaft
Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) sieht diese politischen Entwicklungen als «absolut im Interesse der Industrie», denn sie schafften «Klarheit und Planungssicherheit für Unternehmen, neue Technologien zu entwickeln und massiv zu investieren». Eine voraus-schauende, langfristiger ausgerichtete Energiepolitik im Sinne des Pariser Abkommens
wird den Ausbau der erneuerbaren Energien, den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft sowie eine klimaneutrale Mobilität und Wärmeversorgung unumgänglich machen.
Weshalb deutsche Unternehmen von der Klimawende profitieren dürften
Siemens ist nur eines von mehreren deutschen Unternehmen, mit dem amerikanische Firmen und Städte zusammenarbeiten, um den CO2-Ausstoss zu reduzieren. Die USAChefin des deutschen Elektrotechnologiekonzerns, Barbara Humpton, erwartet, dass sich dieses Geschäft nun stark beschleunigt. Ob erneuerbare Energien, E-Autos, Mini-Stromnetze oder Verkehr – in jedem Bereich rechnet sie mit mehr Aufträgen. Und mit ihrem Optimismus ist sie nicht allein.
Denn gerade beim Klimaschutz haben deutsche Unternehmen die Nase vorn und können Know-how vorweisen, das den Amerikanern noch fehlt.
Deutsche Unternehmen als Know-how Lieferanten für erneuerbare Energien
Ein weiteres Beispiel für die Nachfrage nach deutschem Fachwissen im Bereich der erneuerbaren Energien liefert der geplante Ausbau der Offshore-Windenergie in den USA.
Bereits heute zählt die deutsche Windbranche Amerika zu ihren wichtigsten Exportmärkten. Entsprechend rechnet nicht nur der Hamburger Turbinenhersteller Nordex mit grossen
Auftragseingängen. Auch der Versorger RWE, der im Bundesstaat Georgia bereits Ende 2020 mit dem Bau eines Mega-Solarparks begonnen hat, sieht sich bestens positioniert. Carsten Rolle, der beim Bund Deutscher Industrie (BDI) für Energie- und Klimapolitik zuständig ist, bestätigt: «Bei der Integration volatiler Stromerzeugungsquellen wie Wind und Sonne in ein sicheres System gibt es in Deutschland umfangreiche Erfahrungen, die für die zukünftigen Entwicklungen auf dem amerikanischen Markt wertvoll sein können.» Auch die EU sieht den Ausbau der erneuerbaren Energien als Schlüssel zur Klimaneutralität. Bis 2050 sollen in europäischen Gewässern Offshore-Windparks mit einer installierten Leistung von 300 Gigawatt in Betrieb gehen. Die Nord- und Ostsee sollen zum Kraftzentrum der europäischen Strom-produktion werden. Für den Aufbau der Anlagen wurden Investitionen von rund 800 Milliarden Euro veranschlagt. Derzeit sind in Europa – ohne Grossbritannien und Norwegen – zwölf Gigawatt Offshore-Windkraft installiert. Die EU-Kommission will diesen Wert also um den Faktor 25 erhöhen.
E-Autos als wichtiger Teil der neuen Klimastrategie
Ein wichtiger Teil der neuen Klimastrategie sind Elektroautos. Allein in den USA soll das Elektrotankstellennetz mittelfristig auf 500’000 Ladestationen ausgebaut werden. Stark an der
Umsetzung beteiligt ist die bereits genannte Siemens, die auch Software und andere Komponenten für die grössten EAutobauer herstellt. Schon jetzt hat die Firma 65’000 Lade-stationen für E-Autos in Amerika installiert. Experten rechnen damit, dass batterie-betriebene Autos in vier Jahren 25 bis 30 Prozent der Neuzulassungen ausmachen werden – zehn Prozent oder 1.5 Millionen Neuwagen mehr als bislang erwartet. Davon dürfte nicht nur Tesla profitieren, sondern auch Volkswagen. Dem deutschen Autobauer kommt dieser Tage ironischerweise ein Teil seiner aus dem Dieselskandal resultierenden Strafe zugute: VW hatte sich mit den US-Behörden darauf geeinigt, über zehn Jahre insgesamt zwei Milliarden US-Dollar in elektrische Ladestationen zu investieren und hierfür 2017 das Unternehmen «Electrify America» gegründet. Bisher hat es mehr als 500 E-Tankstellen mit insgesamt 2’200 schnellen Ladestationen in Betrieb. Bis Ende dieses Jahres sollen es 800 Tankstellen mit 3’500 Stationen werden.
Deutschland als technologischer Vorreiter
Wie es sich für einen Exportweltmeister gehört haben viele deutsche Unternehmen das Potenzial erkannt, das innovative, emissionsarme Lösungen mit sich bringen. Wer die besten
Technologien und Schlüsselkompetenzen zur CO2-Reduktion anbietet, dürfte von einem starken Anstieg der Nachfrage profitieren und anderen dabei die Bekämpfung des Klima-wandels ermöglichen. Exemplarisch hierfür steht der Spezialchemiehersteller Covestro. Mit einem Umsatz von 10.7 Milliarden Euro im Jahr 2020 gehört Covestro zu den weltweit führenden Polymer-Unternehmen. Geschäftsschwerpunkte sind die Herstellung von Hightech-Polymerwerkstoffen und die Entwicklung innovativer, nachhaltiger Lösungen für Produkte, die in vielen Bereichen des täglichen Lebens Verwendung finden. Dabei richtet sich Covestro vollständig auf die Kreislaufwirtschaft aus. Mit grossem Erfolg: Anfang Mai hatte das Europäische Patentamt die Nominierung der CO2-Technologie des Unternehmens für den Europäischen Erfinderpreis bekanntgegeben.
Die Technologie ermöglicht es, schädliches CO2 als wertvollen Rohstoff für nachhaltige Kunststoffe zu nutzen. «Diese Nominierung ist eine wichtige Bestätigung unserer Bemühungen um eine nachhaltigere Chemie. Sie zeigt, wie entscheidend Patente für den Entwicklungs-prozess einer Technologie sind», sagt Christoph Gürtler, der bei Covestro für die Entwicklung neuer Verfahren und Produkte verantwortlich ist. «Die Kunststoffindustrie kann mit der Umstellung auf eine CO2-neutrale Produktion zur Bekämpfung des Klimawandels beitragen. Durch die Nominierung für den European Inventor Award sieht sich unser Unternehmen als Vorreiter auf diesem Gebiet bestärkt.» Der Erfolg gibt ihm Recht: Die Nachfrage boomt, sowohl aus dem Heimatmarkt, vor allem aber aus Asien und den USA. Hauptabnehmer sind die Automobil-und Transportindustrie, sowie die Bau- und Elektro- Industrie. Im ersten Quartal des laufenden Geschäftsjahres war es dem Unternehmen gelungen, die Erträge zu verdreifachen - die Gewinnprognosen sind weiter steigend.
Während es sich bei erneuerbaren Energien, der e-Mobility und deren Zulieferern um offensichtliche Profiteure der geplanten Klimainvestitionen dies- und jenseits des Atlantik
handelt, gibt es noch eine Reihe weiterer Unternehmen, die in Sachen Klimaschutztechnologie weltweit mit an der Spitze marschieren und neue Maßstäbe setzen könnten. Dazu zählen beispielsweise GEA und Symrise, welche die nachhaltige Verarbeitung von Lebensmitteln optimieren bzw. im Fall von Symrise, die ressourcenschonende Gewinnung von Duft- und Geschmacksstoffen neu definieren. Oder Nemetschek, das laut eigener Aussage als weltweit
einziges Unternehmen den kompletten Workflow im Lebenszyklus eines Bau- oder Infra-strukturprojekts abbilden kann - von der ersten Skizze der Architekten über den Bau bis hin zum Gebäudemanagement und dem Betrieb der Immobilie. Durch das optimierte Zusammen-spiel aller Prozesse dank Digitalisierung, bietet das Unternehmen der Baubranche die Chance, in puncto Bauzeitverkürzung, Qualitätsverbesserung und Kosteneinsparung um mehr als 20 Prozent effizienter zu werden.
Deutsche Innovationstreiber als Renditebringer
Um am möglichen Erfolg der deutschen Innovationstreiber partizipieren zu können, wurde das Tracker-Zertifikat auf die «deutschen Gewinner der neuen Klimaziele» zusammengestellt.
Das Zertifikat setzt sich aus neunzehn Unternehmen zusammen, die zu den erfolgreichsten ihres Sektors gehören und sowohl national wie auch international hervorragend positioniert sind, um von den geplanten Investitionen in den Klimaschutz zu profitieren.