Kühne + Nagel schlägt ein neues Kapitel auf. Der weltweit tätige Logistikkonzern verabschiedet sich von seinen ambitionierten Margenzielen und setzt neu auf gezieltes Wachstum. Statt Profitabilität steht nun die Ausweitung der Marktanteile im Fokus – insbesondere in margenstarken Branchen wie Pharma und Halbleiter. Gleichzeitig sorgen neue Zölle aus den USA unter Präsident Trump für Unruhe im Welthandel. Für Kühne + Nagel birgt diese Entwicklung Risiken, könnte aber auch Chancen bringen. Mit einem verstärkten Fokus auf Zolldienstleistungen und Flexibilität positioniert sich das Unternehmen in einem zunehmend komplexen Umfeld.
Ein Bruch mit alten Margenzielen
Kühne + Nagel kehrt von der Konversionsrate als Performance-Messer ab. Bei der Konversionsrate handelt es sich um eine Rentabilitätskennzahl, die das Verhältnis von EBIT (Earnings before interest and taxes; dt: Gewinn vor Zinszahlungen und Steuern) zum Rohertrag darstellt. Jetzt nimmt der Logistiker aus Schindellegi (CH) das Wachstum in den Fokus: Künftig will das Unternehmen stattdessen ein Umsatzwachstum erzielen, welches das globale BIP-Wachstum um den Faktor 1,5 übertrifft. Dieser Richtungswechsel kommt nach einem schwierigen Geschäftsjahr 2024. Während der Corona-Pandemie profitierte das Unternehmen aufgrund von Lieferkettenschwierigkeiten von einer erhöhten Nachfrage nach dessen Dienstleistungen. Diese Zeiten scheinen nun endgültig vorbei zu sein. Im Jahr 2024 konnte Kühne + Nagel seinen Umsatz zwar leicht steigern, der Gewinn war jedoch rückläufig.
Darüber hinaus stehen Marktanteilsgewinne, insbesondere in margenstarken Segmenten wie der Pharma- und Halbleiterindustrie, im Zentrum der neuen Strategie. Das Wachstum soll vorwiegend organisch erfolgen, ergänzt durch gezielte, kleinere Akquisitionen. Zudem will das Management das Vertrauen der Investoren durch quartalsweise Updates stärken.
Trumps Zollpolitik als Unsicherheitsfaktor
Die verschärfte Zollpolitik der USA unter Präsident Trump sorgt weltweit für Verunsicherung, insbesondere in der Logistikbranche. Neue Zölle auf US-amerikanische Importe aus China, der EU, der Schweiz sowie einer Vielzahl weiterer Länder führen zu Kostensteigerungen, Lieferverzögerungen und einem erhöhten Koordinationsaufwand für Exporteure und Importeure. Von diesen Umständen ist auch Kühne + Nagel betroffen. Die Nachfrage nach Zollberatung ist in den letzten Monaten gemäss Aussagen des Unternehmens stark gestiegen. Mit der Übernahme des kanadischen Zolldienstleisters «Farrow» Ende 2023 konnte Kühne + Nagel bereits vor der Wahl Donald Trumps seine Kompetenzen im Bereich der Zollberatung an den US-Grenzen zu Kanada und Mexiko gezielt ausbauen.
Sowohl der rechtliche Spielraum als auch die operative Planbarkeit nehmen für Handelsunternehmen ab. US-Zollbehörden setzen die Massnahmen zunehmend konsequent um, während sich politische Vorgaben kurzfristig ändern können. Dies führt auf operativer Ebene zu neuen Herausforderungen. Etwa dann, wenn Lieferungen bereits unterwegs sind und sich Einfuhrbedingungen während des Transports ändern. In der Branche spricht man in solchen Fällen von sogenannter «schwimmender Ware». Dabei handelt es sich um Container, deren logistischer Status unklar ist. Schon kleine Verzögerungen, sei es durch fehlende Dokumente oder technische Pannen, können zu Zollnachzahlungen in beträchtlicher Höhe führen. Kühne + Nagel profitiert in diesem Umfeld vor allem durch die zunehmende Komplexität: Unternehmen benötigen mehr Beratung, Planung und flexible logistische Lösungen. Dennoch bleibt das Risiko bestehen, dass das globale Handelsvolumen infolge protektionistischer Massnahmen nachhaltig sinkt.
Wie könnte es für das Unternehmen weitergehen?
Ob Kühne + Nagels neue Ausrichtung in einem zunehmend volatilen globalen Umfeld realisierbar ist, bleibt abzuwarten. Handelskonflikte, geopolitische Spannungen und kurzfristige politische Entscheidungen sorgen für anhaltende Unsicherheit. Die zunehmende Komplexität im internationalen Handel schafft zwar zusätzlichen Bedarf für spezialisierte Logistiklösungen und Dienstleistungen, insbesondere im Bereich Zollabwicklung, gleichzeitig steigt aber auch das Risiko, dass Volumen zurückgehen oder Lieferketten abrupt umgestellt werden müssen.
Kühne + Nagel reagiert auf diese Unsicherheiten mit einem flexiblen Ansatz: Statt auf kurzfristige Margenziele setzt das Unternehmen auf nachhaltiges Wachstum und eine breitere Diversifikation innerhalb des Kundenportfolios. Der Fokus liegt auf der Fähigkeit, sich schnell an neue Rahmenbedingungen anzupassen. Die konservativere Prognosepolitik könnte mehr Spielraum für positive Überraschungen schaffen. Bessere Kommunikation und eine konsequente Umsetzung der neuen Strategie könnten helfen, zu ein Comeback des angeschlagenen Aktienkurses einzuleiten.